Bei einem Nein am 22. September darf es reine BVG-Kassen nicht mehr geben

Tieflohnbranchen bekämpfen die BVG-Revision wegen der höheren Sozialabgaben. Doch wer seine Angestellten nur gemäss dem BVG-Minimum versichert, muss so oder so mit höheren Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen rechnen - auch bei einem Nein zur BVG-Revision.

Von Claude Chatelain

Rolf Dörig war bis vor einem Jahr Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV). An der Jahresmedienkonferenz 2022 wurde er nach dem Plan B gefragt, sollte die BVG-Revision beim Volk durchfallen. Er sagte lakonisch: «Die BVG-Revision darf nicht scheitern».

Gerade für die Versicherungsbranche wäre ein Scheitern problematisch. Vor allem der zu hohe gesetzliche Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent macht ihr zu schaffen. Versicherer und Sammelstiftungen haben noch Minimalpläne mit nur einem geringen Anteil überobligatorischer Leistungen. In solchen Fällen kann man nicht einen Mischsatz von zum Beispiel 5 Prozent anwenden, wie das autonome Kassen mit einem hohen überobligatorischen Teil tun können.

Die Abstimmungsgegner haben recht, wenn sie behaupten, zahlreiche Vorsorgeeinrichtungen seien von einer Senkung des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes auf 6 Prozent gar nicht betroffen. Dank der hohen überobligatorischen Guthaben können sie schon heute das Kapital mit einem Mischsatz von unter 6 Prozent in eine Rente umwandeln.

Das gilt für viele, aber eben nicht für alle. Und erst recht nicht für die Versicherungen und teilweise auch für Sammeleinrichtungen.

Stand heute würde nicht überraschen, wenn die überaus komplexe BVG-Revision am 22. September Schiffbruch erleidet, auch wenn es laut Rolf Dörig «nicht scheitern darf».

Was tun? Aufgrund der Finanzmarktprognosen und der Lebenserwartung ist der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent zu hoch. Die Finanzierungslücke muss irgendwie gestopft werden. Das geschieht, indem überobligatorische Guthaben geäufnet werden, die zu einem sehr tiefen Satz in eine Rente umgewandelt werden, was eben zu einem versicherungsmathematisch vertretbaren Mischsatz von weit unter 6,8 Prozent führt. Oder indem das Geld von den aktiven Versicherern abgezwackt wird, wie das in der Vergangenheit im grossen Stil praktiziert wurde.

Gerade diese zweite Variante soll mit der Senkung des Mindestumwandlungssatzes vermieden werden. Deshalb bleibt nur eines: Die Schaffung überobligatorischer Guthaben. Das geht nur mit höheren Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen.

Wenn nun Tieflohnbranchen die bevorstehende BVG-Abstimmung mit dem Argument bekämpfen, sie könnten die höheren Sozialabgaben nicht stemmen, so kann man das nachempfinden. 

Handkehrum ist damit zu rechnen, dass Minimalpläne, die nur Leistungen gemäss BVG versichern, der Vergangenheit angehören. Ohne überobligatorische Guthaben lassen sich Renten mit einem Umwandlungssatz von 6,8 Prozent nicht finanzieren. Höhere Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge sind die Folge. Alles andere wäre unglaubwürdig.