Die Schweiz ist ein Land von Vorsorgeanalphabeten 

Die Stimmbevölkerung weiss wenig über die berufliche Vorsorge. Das ist ein Problem für das direktdemokratische System der Schweiz.

Von Beat Schmid

Am 22. September stimmt die Schweizer Bevölkerung über die BVG-Reform ab. Die Abstimmung wurde nötig, weil gegen die vom Parlament beschlossenen Änderungen das Referendum ergriffen wurde. Die Initianten bereiten vielen Stimmberechtigten damit keine Freude. Das Stimmvolk muss sich mit Dingen beschäftigen, von denen es lieber nichts weiss. Oder wie ein Bekannter kürzlich zu mir sagte: «So genau will ich das gar nicht wissen.»

Er ist in guter Gesellschaft. Laut einer Umfrage wissen zwei Drittel der Befragten nicht, was der Umwandlungssatz genau bedeutet. Und nur jeder Dritte weiss, dass es verschiedene Sätze gibt. Wer aber den Umwandlungssatz nicht kennt, weiss auch nicht, was der technische Zins ist oder was der Koordinationsabzug bedeutet. Das Meinungsforschungsinstitut Sotomo kommt zum Schluss, dass die Schweizer Bevölkerung mit ungenügendem Basiswissen und verzerrten Vorstellungen in die Abstimmungsdebatte zur BVG-Reform geht. 

Doch dieses Wissen muss man haben, wenn man mitreden will. Die Delegiertenversammlung der SVP bot diesbezüglich interessanten Anschauungsunterricht. Während sich die Parteispitze klar für die Reform aussprach, scherten einige aus, etwa die Bauern oder Vertreter von Branchen mit vielen Geringverdienern. Am Ende setzte sich zwar die Linie der Parteispitze durch, die eine Zustimmung empfahl. Doch viele Bauern und Gewerbetreibende werden am 12. September trotzdem ein Nein einlegen.

Wie schon bei der überraschend gewonnenen Abstimmung über die 13. AHV-Rente werden die Linken und die Gewerkschaften auch bei der BVG-Reform viele Stimmen aus dem rechten Lager holen. Die Umfragen deuten auf einen knappen Ausgang hin. Die Linke hat seit der denkwürdigen Volksabstimmung im Frühjahr Aufwind. Nach dem kürzlich bekannt gewordenen Abrechnungsfehler des Bundesamtes für Sozialversicherungen scheint dieser noch stärker zu werden. 

Das ungenügende Wissen verheisst nichts Gutes für die Abstimmung. Viele Abstimmungsberechtigte werden an der Urne mit Ja oder Nein stimmen, ohne genau zu wissen, was das bedeutet – für sie, die nachfolgenden Generationen und die Vorsorgeeinrichtungen.

Es ist grundsätzlich nicht so, dass alle Vorlagen zur Altersvorsorge überkomplex und damit eine Zumutung für die Bevölkerung sind. Die AHV-Reform, über die wir vor zwei Jahren abgestimmt haben, war verständlicher. Jeder konnte sich vorstellen, was es bedeutet, das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen. Auch die Initiative zur Einführung einer 13. AHV-Rente war schon fast unterkomplex einfach. Jeder wusste, worum es ging.

Das direktdemokratische System der Schweiz baut auf informierte Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die wissen, worüber sie abstimmen. Bei der BVG-Reform stösst unser System an seine Grenzen. Das ist ein Problem.